Caroline Hartge

LYRIKERIN, ÜBERSETZERIN, HERAUSGEBERIN

ich bin das selbige haus

ich bin das selbige haus
und die flammen die es niederbrennen bin ich
& ich bin
was man nicht verliert
weil man es mit sich führt
meine füße sind meine einzige last
ich bin ein stein der in der erde liegt

ich bin die heiserschreie der elster
und ihr schwanken im höchsten zweig bin ich
& ich bin
ein könig: der blickt zu niemandem auf
und sieht auf keinen herab
alle sind könige
ich bin ein stein der in der erde liegt

ich bin die neigung der u-bahn in der letzten kurve
und das sprühende kreischen der räder bin ich
& ich bin
der einzige ruhende halt
der verschlossene türen nicht leugnet
ich rüttle nicht gitter noch gatter
ich bin ein stein der in der erde liegt

ich bin zwei junge graue tigerkatzen
und der ball aus silberfolie bin ich den ihre tatzen treiben
& ich bin
das geräusch von tatzen über ball und roten ziegelboden
leiser als atem
und schneller vorbei
ich bin ein stein der in der erde liegt

"Asche"
Gedichte
Verlag Peter Engstler, Ostheim/Rhön 2001
52 Seiten (unpag.), Broschur,
15 x 20,5cm
ISBN 3-929375-27-3
Preis: 5,- €

zu beziehen bei:
www.engstler-verlag.de

  • Inhaltsverzeichnis

    inkl. Alle gehen / An der klappenburg / Atemlose Antiphon / Auf dem land I / Auf dem land II / Auf dem land III / Beim feuer / Bergbauern / Es gibt nicht / Geliebte stimme / Ich bin das selbige haus / Immer die huren / In windiger finsternis / Kleinstadt / Liebster liebester / Nacht wachen I / Nacht wachen II / Schneeweiß / Sprung aus den wolken / Stadt land fluß / Über bahnhöfe I / Und du sammelst nicht sie / Vielleicht später anders / Zen kam auf dem schilfblatt

Rückstände des Alltags

Gedichte von Caroline Hartge

Asche: Rückstände bei der Verbrennung von festen Stoffen.

Sagt der Brockhaus. Eine Spur des Vergangenen also, im dichterischen Sinne, und damit ein trefflich gewählter Titel für die neue Gedichtsammlung der in Garbsen ansässigen Lyrikerin Caroline Hartge. Jedes einzelne ihrer 22 Gedichte, sorgfältig ediert von Verleger Peter Engstler, spürt im Zeitlupenfokus derartigen Überresten nach, von den vergessenen Feldern im Ländlichen bis hin zu den zersplitterten Stunden der Einsamkeit in Wohnungen zu nächtlichen Stunde.

Hartges Bilder erreichen eine sprachliche Dichte, als trügen Musen und Dämonen in ihr die glücklichsten Kämpfe aus. Metaphern führen nicht, wie bei zu vielen bemühten Kollegen, weg, sondern hin zum Naheliegenden, zum Eigentlichen: "liebster liebester / die zäune sind zerbrochen / die äpfel liegen welk im gras / was kiesel schien sind knochen."

Caroline Hartge beherrscht den Umgang mit den klassischen Motiven der Lyrik, den Orten des Himmels, des Feuers, des Schnees und der Liebe ("atemlose antiphon" ist eines der eindringlichsten und schönsten Gedichte im Band). Ebenso beherrscht sie den Umgang mit den Fetischen der Gegenwart: Ikea, Plaste und Beipackzettel. Die alltäglichen Gegenstände werden Orte des "ruhenden Halts" - die Welt ordnet sich durch die Lupe der Dichtung. "ein leben wie zerschlagene fenster / notdürftig mit Brettern vernagelt", heißt es, lapidar, im Gedicht "Kleinstadt".

So behutsam und still ihre Lyrik sich zeigt, so rar macht die Autorin sich auch in der hiesigen literarischen Landschaft, leider. Aber vielleicht ist gerade das auch die Voraussetzung, um einen solch wertvollen Gedichtband entstehen zu lassen.

(Kersten Flenter, Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 4.3.2002)

Startseite — nach oben — Impressum