der wind ist dem himmel anvertraut
dem grund dem wasser das schilf
wächst im weder-wasser-noch-land
(macht land wo vorher wasser war)
das ganze röhricht ein einzelnes rohr
was ist es?
der wind: sein meister vielleicht
geht durch wo keiner treten kann
wird beugen biegen und brechen
das schilf verneigt sich
und nickt
ein rascheln ist was es ist & nicht nichts
wind kommt warm kalt gar nicht
schilf biegt sich bricht und vergißt nichts
schläft lächelt und träumt
eine glocke zu sein
im hause des meisters
(das ist der himmel)
& nachzuhallen & zu hallen mit einem
glocken
ton
"Schilf & Requiem für
Elise Cowen"
Gedichte
Verlag Peter Engstler, Ostheim/Rhön 2005
56 Seiten
(unpag.), Broschur,
16 x 22cm
ISBN 3-929375-64-8
Preis: 8,- €
zu beziehen bei:
www.engstler-verlag.de
inkl. 1 schnelles gedicht über die liebe (Riding w/ Mary Avalokitesvara) / Baum I / Baum II / Blut zucker 6 magie / Da. Sieh doch. / Das haus verliert nichts / Des guten ist nie zuviel / Eine frau lichterloh brennen zu machen / Einer, & keiner / Engel zeigen / Karunā / Nacht vor der scheidung / Plötzlich wieder 16 / Requiem für Elise Cowen / Schilf / Schlüssel leiter pforte / Spätwinter / Spaziergang (mit einem kind das züge liebt) / Vermutung einer möwe über den himmel (gedicht mit ausgebreiteten flügeln / War gutes land / Weber & knechte / Weil meine gefährten / Weiße tage / Wiedergänger
Die literarische Gattung der Lyrik verschwindet zunehmend aus den Programmen der großen Verlage. Interessante lyrische Entwicklungen finden heute häufig an den verlegerischen Rändern statt. Eine dieser guten Adressen für avancierte zeitgenössische Dichtung ist der kleine Verlag Engstler aus Ostheim / Rhön. Hier veröffentlich die 1966 in Hannover geborene Caroline Hartge mit "Schilf & Requiem für Elise Cowen" bereits ihren dritten Band. Den Auftakt des schlicht gestalteten Lyrikheftes bildet jenes titelgebende "Requiem", eine böse lyrische Hommage an die im Lieben und Leben gescheiterte Beat-Dichterin Elise Cowen (1933 - 1962): "die ehe ist die sicherste art gewaltsam zu enden, / wenigstens für eine frau". Die Dichtung der Caroline Hartge ist gekennzeichnet durch einen schonungslosen Blick und harten sprachlichen Zugriff. Auf diese Weise kundschaftet die Dichterin ebenso archaische menschenfreie Landschaften wie urbane Beziehungslosigkeiten aus. Wie es sich für eine echte Lyrikerin gehört, hat sie einen ganz eigenen zauberhaften "Gesangton" (Herder) ausgebildet. Wer ihm Gehör schenkt, gewinnt reichlich zurück.
(Martin Brinkmann, Rheinischer Merkur vom 9.6.2005)
"Schilf & Requiem für Elise Cowen" heißt Caroline Hartges (*1966) neuer Gedichtband. Diese unprätentiöse, klare, kraftvolle Lyrik hat in der deutschsprchigen Gegenwartslyrik nicht ihresgleichen. Sie verhandelt ohne jede Spur von Pathos Essentials wie Liebe, Begehren, Elternschaft und Trennung - und zeigt in ihrer Demontage der patriarchalen Beat Generation, dass feministischer Zorn hier und heute exzellente Gedichte hervorbringen kann: "hinter jedem großen mann eine frau in der klapse".
(Gerald Fiebig, auf satt.org im Juni 2005)