Caroline Hartge

LYRIKERIN, ÜBERSETZERIN, HERAUSGEBERIN

Fünf Tage

Exposé

Ein ‚metaphysisches Roadmovie‘. Die Darstellung einer Annäherung, die nicht stattfindet, ohne daß sich aus der Hilflosigkeit der Protagonisten ein Vorwurf ergäbe; eine Annäherung, die vielleicht gewünscht ist, aber nicht stattfinden kann, weil die Beteiligten sich jeder selbst am meisten im Wege sind.

Weitab von den großen Städten: die Landstraßen und stillen Dörfer zwischen Meißner und Wetterau, später die Stadte am Rhein und weiter westlich. Die unbestimmte Zeit zum Ende des Winters mit ihrem Helldunkel, ihrer unausgesprochenen Erwartung. Leo fährt mit seinem alten Renault über Land und kauft Schallplatten auf, die er bei nächster Gelegenheit weiterverkauft: davon lebt er.

Eines Abends liest er eine Anhalterin, Tessi, auf, die ihn zuerst nur bittet, sie bis zum nächsten Dorf mitzunehmen. Aber sie verschläft die Abzweigung, und Leo, mangels Grund, sich anders zu verhalten, nimmt sie bis zu seinem Schlafplatz mit, dem verlassenen Hof einer Tante, wo sie in einem kleinen Nebengebäude übernachten. Die nahe Anwesenheit eines fremden Mannes, einer fremden Frau verursachen ihnen Alpträume, vielleicht aber auch zärtlichere Assoziationen.

Am nächsten Morgen bringt Leo es nicht fertig, Tessi in dem abgelegenen Dorf zurückzulassen, und sie fährt wie selbstverständlich mit ihm weiter. Unterwegs erzählt sie etwas von sich -– daß ihr Mann sie und ihre gemeinsamen Kinder wegen einer anderen Frau verlassen hat; daß ihre Kinder nicht bei ihr leben. Leo vergleicht Tessi im Stillen mit seiner Exfrau. – Am Abend kommen sie bei einem Bekannten von Leo unter, der ihnen ein Zimmer über einer Diskothek überläßt. Um die Zeit totzuschlagen, fahren sie in ein Kino. Etwas miteinander vertraut geworden kaufen sie auf dem Rückweg eine Flasche Wein und gehen im Wald spazieren. Ob sie daran denken, miteinander Liebe zu machen, oder es wirklich tun – ihre Anspannung entlädt sich.

Leo und Tessi verbringen das Wochenende zusammen. Autofahren, Plattenkäufe, ein Open Air-Konzert, Reden und Schweigen und der heimliche Film, der die ganze Zeit nebenbei läuft. Aber am Montag eskaliert die Stimmung zwischen ihnen; Leo legt Tessi nahe, bei nächster Gelegenheit auszusteigen, geht seinen Geschäften nach und verschleppt die fällige Auseinandersetzung. Tessi, des Wartens einmal müde, geht ohne ein Wort auf und davon.

Seine Spannung soll der Text aus der wortkarg-exakten, aber nicht unpoetischen Schilderung der Landschaften und Orte beziehen, vor deren Hintergrund Tessi und Leo ihre ungelenken Ausweichbewegungen vollführen. Die Innenwelt, von unerträglicher Plastizität, ist dauernd präsent und bricht regelmäßig durch, aber die fast erschreckende Vehemenz, die von ihr ausgeht, schlägt sich in der Wirklichkeit nicht nieder, sei es weil die Protagonisten verstört sind, sei es, daß sie es einfach nicht wollen. Während Leo und Tessi unter qualvoller Sprachlosigkeit Flohmärkte abklappern, in Autowerkstätten warten, Inserenten aufsuchen etc., kreisen sie in Gedanken und auch physisch umeinander, erkennen aber den anderen nicht recht oder nehmen die leisen Signale nicht wahr, die vielleicht eine wirkliche Annäherung eingeleitet hätten. Sie bleiben jeder für sich.



Fünf Tage
2003, unveröffentlicht
(unlektoriertes MS
ca. 257'000 Zeichen)

(PDF)

Das blaue Haus

Prolog

Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr komme ich zu dem Ergebnis, daß es im Grunde nur zwei Arten von Geschichten gibt – eine über das Verlieren und eine über das Finden, meistens aber nur: das Suchen. Manche nennen das eine Leben, das andere Tod. Es kommt nicht darauf an, klare Linien dazwischen zu ziehen; die Grenzen sind wie immer fließend. Deshalb fragt mich nicht, was was ist; wer so fragt, hat nichts verstanden.

Wißt ihr das denn nicht? die ganze Welt ist eine Geschichte. Geschichten beim Einschlafen, Geschichten im Traum. Geschichten im Takt der Schritte, wenn man geht; fremde Geschichten, die man vorgelesen bekommt, uralte Geschichten, die einem erzählt werden, damit man sie später selber erzählt; die für einen erfunden werden oder die man mit einer Freundin für sich erfindet. Geschichten vom Anbeginn der Zeit, die man voller Verwunderung liest. In jeder Konstellation sind die Steinchen zu erkennen, aus denen sich alles zusammensetzt. Bei jeder Drehung des Kaleidoskops verschiebt sich das Bild, und das Kaleidoskop dreht sich laufend. Aber etwas Neues gibt es nicht.

Wenn du an den Fluß hinuntergehst, um Fische zu fangen, vergiß nicht, ein Netz mitzunehmen, sagt das Sprichwort; aber wer will auch so gierig sein: Es genügt eine Angel. Und Geduld. Man kann auch sagen: Liebe.

Das blaue Haus
1997, unveröffentlicht
(unlektoriertes MS
ca. 394'000 Zeichen)

(PDF)

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