Caroline Hartge

LYRIKERIN, ÜBERSETZERIN, HERAUSGEBERIN

Dein herdfeuer kalt

Gedicht

in:
Sabine Prilop (Hrsg.)
Blumengedichte

Philipp Reclam jr.
Stuttgart, 2008
ISBN 978-3-15-010619-8

Le Mépris, oder: Die 4 Eukalyptischen Reiter

Prosa

in:
Heiner Link (Hrsg.)
Trash Piloten

Le mépris, oder: Die Vier Eukalyptischen Reiter [Auszug]

(Im Gedenken an Mlle. Bardots gelben Frottéebademantel)

Lollo sitzt am Tisch und wartet. Sie wartet planlos, weil sie übernächtigt ist, mit steifem Nacken und den unheilvollen Hintergrundgeräuschen im Kopf – fahrenden Autos, Stimmen vor Schaufenstern, Absätzen auf dem Trottoir – die sich gegen 14 Uhr zu einem veritablen Schmerz ausgewachsen haben werden. Dem wird Lollo entgehen, indem sie bis 17 Uhr schlafen wird, aber das ist noch eine Weile hin. Lollo sitzt am Tisch und raucht. Die Glut fällt gelegentlich auf das rote Wachstuch, das Dagös Mitbewohnerin Merluza für fünf Mark auf dem Flohmarkt gekauft und als Tischdecke gestiftet hat, und sengt unansehnliche Löcher hinein. Das ist natürlich schlecht, aber Merluza hat es ihrerseits beim Schinkenspeckschneiden zersäbelt und aufgeschlitzt, weil sie zu faul war, eine größeres Brett dafür zu nehmen. Auch ein Tischtuch ist eben nur ein Verbrauchsgegenstand und pietätloser Behandlung ausgeliefert. Lollo sitzt am Tisch und trinkt Kaffee aus einer von Dagös Mützlischüsseln, milchblondiert und stark gesüßt. Sie haßt das obszöne Saugen und Schmatzen, das die Thermoskanne mit ihrer Gummidichtung macht. Sie wartet planlos, aber nicht untätig: In ihrem diesigen Großhirn ist die Arbeit wiederaufgenommen worden. Wieder und wieder werden die montierten Filme vom gestrigen Abend über den Leuchttisch geschoben, die letzten Kratzer und Flecke mit rotem Folienstift abgedeckt. Allmählich kommen die einzelnen Seiten in die richtige Ordnung: nicht chronologisch, sondern nach Seitenplan. Wie bei einem Puzzle: Nicht jedes Teil paßt, bloß weil es die richtige Farbe hat. Manche Vorlagen sind schlampig montiert und unbrauchbar; sie gehen zurück, aber allmählich ist doch ein Ende abzusehen. […]

Philipp Reclam jr.
Leipzig, 1997
ISBN 3-379-01595-4

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